Vom Scheitern … 

Die besten Jongleure haben
die meisten Bälle fallen gelassen.

»Jetzt kommt der erfolgreichste Hypnotiseur … Europas… hier ist Alexander Hartmann!« 

Eine große Ankündigung. Zwei Millionen Zuschauer. Und ein Raab. Am 06. November 2014 auf ProSieben. Man hätte es wissen müssen: die Mixtur für ein Desaster. Dabei war Stefan Raab an diesem Abend echt nett gewesen. Wider allen Unkenrufen, dass ich »aufpassen« solle, habe ich ihn als freundlich, völlig in Ordnung und vor allem als absoluten Vollprofi kennengelernt.

Bei TV total aufzutreten ist natürlich großes Kino, das mit viel Vorfreude und vielleicht sogar etwas Adrenalin einhergeht. Nach einem kurzen Gespräch über meinen neuen Blick auf die Hypnose und über meine Arbeit fragte mich Stefan:
»Was müssen wir jetzt tun, damit du unser Publikum hypnotisieren kannst?«
»Nicht viel!«, sagte ich – und so legte ich los.

Für die nächsten zehn Minuten übergab der Showmaster mir sowohl sein Studio als auch sein Millionenpublikum. 

Schritt 1: ganzes Publikum erleben lassen, wie ihre Gedanken in ihrem Körper wirken – kein Problem und viele begeisterte Gesichter. 

Schritt 2: zwei Probanden aus dem Publikum nach vorne nehmen und mit ihnen noch ein gutes Stück weitergehen. 

Was dann geschah … siehst du entweder hier:

https://www.youtube.com/watch?v=Z6ZnhQ2SAB0

Oder wenn du weiterliest … 

Ich hatte einen jungen Mann und eine junge Frau auf die Bühne geholt, um ihnen zu zeigen, wie stark ihr Unterbewusstsein ist. 

Ich »klebe« den jungen Mann mit der Kraft seiner Gedanken in seinen Stuhl. Er klebt. Er versucht aufzustehen, aber sein Unterbewusstsein ist stärker. Ich denke: Super – gehen wir noch einen Schritt weiter.
Im nächsten Schritt springe ich direkt zu einem etwas aufwendigeren »Reality-Hack«: 

Ich lege seinen Arm in die Luft. Dort bleibt er stehen. Und ich gebe ihm eine Idee: »Stell dir vor, der Arm sei nicht dein Arm, sondern der Arm einer Statue. Aus Marmor. So fest, dass du ihn nicht mehr anwinkeln kannst – selbst wenn du es versuchst.« Und genau das passiert. Für einen Moment. Er konnte ihn nicht mehr bewegen. Dann forderte ich ihn heraus: »Versuch mal, wirklich mit Kraft deinen Arm anzuwinkeln!« Und er versuchte es – und der Arm beugte sich. 

Wenn man den klassischen Bewertungsmustern folgen würde, würde man sagen: Dumm gelaufen, Experiment schiefgegangen. Und während mir in dem Moment wahrscheinlich auch ein anderer Verlauf lieber gewesen wäre, war es mir gleichzeitig vergleichsweise egal.

Warum? Ich habe kein Referenzmuster für »Scheitern«.

Natürlich schrie ein kleiner Teil in mir: »Fuuuuck – so war das nicht geplant! Herr Hartmann, Sie haben gerade vor einem Millionenpublikum … verkackt!« Der andere Teil freute sich aber schon ein bisschen, denn er wusste: »Es hat nicht geklappt« gibt es nicht. Irgendwas klappt ja immer. Nur nicht immer das, was wir vorhatten. Auch hier hatte ein Gedanke gewirkt. Nämlich der Gedanke: »Ich kann den Arm anwinkeln.« Und nur um das zu zeigen – nämlich dass Gedanken wirken –, war ich ja bei TV total.

Also blieb ich entspannt und sagte einfach: 

»Du merkst, er bewegt sich ein kleines bisschen – aber es ist unheimlich schwer. Und wenn ich ihn berühre … bleibt er dort in der Luft stehen.«

Dann habe ich der jungen Frau zu meiner Rechten gezeigt, wie sie mit nur einem Gedanken ihre Augen so verschließen kann, dass sie sie sogar mit bewusster Anstrengung nicht mehr aufkriegt.

Sie und das Publikum fanden es hoch spannend, dass schon EIN GEDANKE dafür sorgen kann, dass man nicht mehr aus einem Stuhl aufstehen kann, dass die eigenen Augen verklebt sind, sodass man sie nicht mehr öffnen kann, so sehr man es auch versucht – oder dass man eben seinen Arm (nicht mehr) anwinkeln kann … 

Dass ich so entspannt reagieren konnte, war mein Glück. Aber
vor allem war es Training. Training in der Disziplin »Freudvoll auf die Fresse fliegen«. Dadurch bin ich nicht zusammengesackt und habe gedacht: Scheiße das war’s!, sondern ich habe einfach weitergemacht und wie geplant mein Wissen vermittelt – und damit den beiden jungen Menschen auf der Bühne und dem ganzen Publikum etwas mitgegeben.

»Wenn schon der Gedanke ›Ich kann nicht mehr aufstehen‹ dafür sorgt, dass der Körper es unmöglich macht, indem die Muskeln nicht mehr reagieren, wenn schon der Gedanke ›Ich kann meine Augen nicht öffnen‹ dazu führt, dass ich sie nicht öffnen kann … wie oft denken wir dann im echten Leben: Ich kann das nicht! – und was tut der Körper dann alles, von Angst über Blockaden bis hin zu Krankheiten, um dafür zu sorgen, dass wir recht behalten?«

Unbewusstes Nicken in vielen Gesichtern im Publikum. Ziel erreicht. Wenn auch auf Umwegen. 

Warum ich das alles erzähle? Weil ich zu oft – sei es in meinen Seminaren oder in ganz normalen Gesprächen mit erwachsenen Menschen – feststelle, dass sie sich nicht trauen, gar nicht erst ins Tun zu kommen, weil sie Angst haben, sie könnten scheitern. 

Hallo?! Wo ist denn bitte der logische kausale Zusammenhang zwischen »sich nicht trauen, etwas zu tun« und »der Möglichkeit zu scheitern«? 

Das Schlimmste, was passieren kann, IST schon passiert: Es ist alles so wie vorher! Das Schlimmste, was mir passieren konnte, ist, dass derjenige seinen Arm anwinkelt. Halleluja – das macht der junge Mann jeden Tag! 

Und genauso im echten Leben. Viele Verkäufer haben Angst davor, dass der Kunde nicht kaufen will. Und Nein sagt. Hallo? NICHT GEKAUFT HAT ER SCHON – Um mal Martin Limbecks Buchtitel hier zu zitieren!

Scheitern ist für mich aber vor allem eine unvorhergesehene Planänderung. Und was bergen die? Immer eine Chance. Worauf es hier ankommt, sind wie immer die Antworten auf die folgenden drei Fragen:

Worauf konzentriere ich mich?
Wie bewerte ich es?
Wie reagiere ich?

Und genau das ist es, was den wichtigen Unterschied macht: Wenn wir uns selbst für unser Scheitern bestrafen und denken: Oh mein Gott, nein, wie schrecklich!, dann reagieren wir entsprechend. Wenn wir am Scheitern Spaß (!) haben, dann können wir ganz anders reagieren. 

Ich habe aus dem besagten Abend Folgendes mitgenommen: 

1. Wenn etwas anders läuft als geplant – dann wird es spannend! Dann merken die anderen Menschen: »Oh, jetzt passiert gerade etwas unheimlich Echtes!«

Alleine deswegen sollten wir öfters scheitern. Menschen lieben Menschen. Echte Menschen. So mit Fehlern und allem, was dazugehört. Fehler auf Teufel komm raus zu vermeiden ist zwar verständlich – wenn wir uns anschauen, welches gesellschaftliche Training wir seit der Schulzeit durchlaufen –, aber keinesfalls dienlich. Zum einen hemmt es uns überhaupt, ins Tun zu kommen. Zum anderen verhindert es viele schöne Momente, die so erst entstehen können. 

2. Ohne diesen Zwischenfall wäre es »nur ein weiterer Fernseh-
auftritt« gewesen, bei dem mal wieder alles glattgegangen ist. 

So aber habe ich eine Anekdote vom Scheitern, die ich noch mein Leben lang erzählen kann. Mit Lernpotenzialen für mich sowie meine Seminarteilnehmer. 

»Auch der große tolle Alex kann mal richtig ordentlich ins Klo greifen.«

Und das ist gut – denn oft haben sie eine riesige Angst davor: »Was ist, wenn ich etwas falsch mache?« 

NICHTS ist dann! Die Welt dreht sich genauso weiter wie vorher. Wenn wir nicht gerade Pilot, Chirurg oder Hochseilläufer sind, haben unsere Fehler im Regelfall eine viel geringere Folgenschwere, als wir annehmen. Und du hast die Chance, etwas daraus zu lernen. 

3. Das einzige Problem ist, dass wir meistens denken: Was denken dann die anderen? Und die Wahrheit ist im Regelfall: Die, bei denen es dir wichtig sein sollte, denken im Regelfall gar nichts.

You’ll worry a lot less about what people think about you, 
when you realize how seldom they do.

David Foster Wallace

Und weißt du, warum? Weil sie mit jemandem viel Wichtigeren beschäftigt sind: mit sich selbst! Und damit zu überlegen, was andere wohl über SIE denken. 

Wann immer wir etwas tun, gibt es zwei Möglichkeiten: 

Entweder es klappt wie geplant – oder wir können etwas lernen.
Beides ist ein Geschenk.

Ich habe an diesem Tag gelernt, dass ich mir – selbst wenn es hinter den Kameras auf einmal hektisch wird, weil wir dringend in die Werbepause müssen – die Zeit lassen werde, sauber weiterzuarbeiten. Dann winkelt mir der Nächste nicht mehr den Arm an. Und selbst wenn … Shit happens. C’est la vie. Cosas de la vida. Wieder was gelernt.

Das eigentlich Spannende, was auch für mich wieder ein Lernergebnis und eine schöne Bestätigung war, war das viele positive Feedback, dass mich nach der Show erreichte – von Menschen, die begeistert waren, wie »sympathisch ich scheiterte« beziehungsweise das ich souverän damit umgegangen bin, als es offensichtlich anders gelaufen sei als geplant. 

Worauf ich hinauswill: Erlaube dir unbedingt, auch Dinge zu tun, an denen du wachsen kannst – die also außerhalb der 100 Prozent sicheren Komfortzone liegen. Suche sie sogar auf. Wenn etwas anders läuft als geplant, ist es selten tödlich und im Regelfall eine Riesenchance. Wenn man weiß, wie man bewertet und ergo reagieren kann. 

Interessanterweise haben mir hinterher ganz viele Menschen gesagt, dass sie gar nicht mitbekommen haben, dass während meines Auftritts etwas »schiefgegangen« ist. Und genau das ist der Punkt: Wenn es MIR nichts ausmacht, dann macht es auch den anderen nichts aus! 

Was machen kleine Kinder als Allererstes, wenn sie hinfallen? Noch bevor sie weinen? Sie schauen zu ihren Eltern! Und wenn die angsterfüllt oder bedauernd schauen, fängt das Kind an zu weinen. Wenn sie begeistert rufen: »Super – und jetzt wieder aufstehen!«, dann steht das Kind auf und spielt lachend weiter. 

Erwachsene sind genauso. Wenn sie nicht wissen, was sie von etwas halten sollen, warten sie auf die Reaktion der anderen.
Ob etwas ein Drama oder ein lustiger Zwischenfall ist – entscheiden wir (fast) immer selbst. Lass uns aus dieser Macht etwas machen!

Übrigens: Keiner hat während der Sendung oder danach mit dem Finger auf mich gezeigt und gerufen: »Haha, Versager!« (Keyboard-Helden bei YouTube mal ausgenommen). Weil ICH es selbst nicht so bewertet habe. 

Ein paar Tage danach habe ich ein Video zum Thema gedreht – das überraschenderweise wie kein anderes meiner Videos auf Facebook »viral« gegangen ist, weil scheinbar eine Menge Menschen sich mit dem Thema identifizieren können. Das Video findest du hier – schau doch mal rein: 

mitdemelefantdurchdiewand.de/scheitern

»Mut heißt nicht, keine Angst zu haben
Mut heißt nur, dass man trotzdem springt.«
– Sarah Lesch

Vielleicht möchtest du diesen Gedanken auch einmal ausprobieren, wenn sich die alte Freundin namens Angst wieder bei dir meldet… Mach’s trotzdem!